Gedanken zum Pfingstfest 2021

Vor zwei Wochen ging ich abends vor dem Schlafen-gehen noch einmal nach draußen, schaute zum Himmel und war völlig überrascht. Am Nachthimmel zogen wie an einer Perlenkette aufgereiht Lichter von West nach Ost. Bei ausgestrecktem Arm hatten die Lichter einen Abstand von der Breite eines Fingers. Das Spektakel dauerte mehrere Minuten.

Was war das? Vor einigen Jahren war es bei Hochzeiten verbreitet, Leuchtballons steigen zu lassen, die dann vom Wind durch den Nachthimmel getragen wurden. Doch diese Leuchtballons flogen in Haufen und waren durch die Windbewegung unterschiedlich schnell. Und zudem war ihr Gebrauch wegen der Brandgefahr und Umweltbelastung verboten worden. Solche Leuchtballons waren also nicht am Himmel zu sehen. Wären es Flugzeuge oder Helikopter gewesen, so hätte man einen gewaltigen Lärm hören müssen, und diese hätten wohl kaum in einem solch geringen Abstand zueinander fliegen können. Auch für Satelliten schien mir der Abstand der Lichter zueinander zu gering. Und die Möglichkeit, dass es sich bei diesen mir unbekannten Flugobjekten um UFOs handeln könnte, schloss ich grundsätzlich aus. Was also steckte hinter dieser sonderbaren Perlenkette aus Lichtern.

Eine Suchanfrage im Internet ergab, dass ich nicht der Einzige war, der über dieses Phänomen erstaunt war. Es handelte sich tatsächlich um Satelliten, um das größte Satellitenprojekt, das bislang von der Menschheit gestartet wurde: Das Starlink-Projekt.

Das private Raumfahrtunternehmen SpaceX will mit den Starlink-Satelliten weltweiten schnellen Internetzugang bieten, auch in den entlegensten Gebieten der Erde. Elon Musk, der heute Tesla leitet, ist auch der Gründer und Haupteigentümer von SpaceX. Er hat das Unternehmen innerhalb von nicht einmal zwanzig Jahren nicht nur zum wichtigen Raketenhersteller und -betreiber, sondern auch zum größten Betreiber und Hersteller von Satelliten ausgebaut. Nachdem die ersten Starlink-Satelliten im Jahr 2019 in den Orbit gebracht wurden, werden heute ca. alle zwei Wochen neue Satelliten ausgesetzt. Die firmeneigene Trägerrakete Falcon 9 befördert dabei jedes Mal 60 kleine Satelliten in die Erdumlaufbahn. In den Folgetagen kann man am Nachthimmel sehen, wie die Satelliten in engem Abstand wie eine Lichterkette die Nacht durchziehen. Mit den Tagen werden die Abstände zwischen den Satelliten größer, ihre Formation löst sich auf und sie verteilen sich auf der Erdumlaufbahn. In den kommenden Jahren sollen mehr als zehntausend dieser Satelliten ins All befördert werden. Das ist ein Vielfaches aller Satelliten, die seit Sputnik 1 1957 in unseren Orbit gebracht worden.

Der uns vertraute Anblick des Sternenhimmels, der schon durch die nächtliche Beleuchtung der Städte beeinträchtigt ist, wird sich nochmals stark verändern, wenn überall die Starlink-Satelliten hindurchziehen.

Mag auch das Anliegen des engagierten Projekts, nämlich auch in den entlegensten Gegenden der Welt den Menschen Internetzugang zu ermöglichen, nützlich und gut sein, so ist doch bedenklich, dass sich niemand dagegen wehren kann, dass der Himmel nun mit Tausenden von Flugkörpern versehen wird. Und eine gewisse Hybris, sich über alle Vorbehalte und Grenzen hinwegzusetzen, ist darin auch zu erkennen.

Eine biblische Geschichte erinnert an Menschen, deren Hybris dazu führte, dass sie am Himmel kratzen wollten und sich damit einen Namen machen wollten. So bauten sie einen Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reichen sollte. (Nachzulesen im 11. Kapitel des 1. Buches Mose – Genesis.)

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist abgefasst als Ätiologie, als eine Erzählung, die ein bestehendes Phänomen erklären möchte: In diesem Fall, weshalb es auf der Welt verschiedene Sprachen gibt. Mit Augenzwinkern wird geschildert, dass Gott zunächst einmal aus seinen himmlischen Höhen hinabfahren muss, um zu sehen, was die Menschen unten auf Erden wieder einmal planen und bauen. Und als er ihr Ansinnen erkennt, entscheidet er, ihre Sprache zu verwirren und die Menschen in verschiedene Länder zu zerstreuen. So sollten die Menschen davon abgehalten werden, jemals wieder zu versuchen, ihre Kräfte zu bündeln, um nach Gottgleichheit zu streben. Und so bestehen verschiedene Sprachen, Völker und Nationen bis auf den heutigen Tag. Die Vielfalt der Völker und Sprachen ist zwar nicht in der Vielfalt der Schöpfung angelegt, aber sie ist von Gott gewünscht, um den Menschen vor sich selbst und seinen Allmachtsphantasien zu schützen. Das ist die Botschaft der Geschichte vom Turmbau zu Babel.

Die traurige Seite davon, dass sich die Menschen nun nicht mehr gegenseitig verstehen, ist, dass Missverständnisse und Konflikte vorprogrammiert sind. Und so führt die Tatsache, dass die Menschen sich nicht verstehen können, zu Konflikten, Streit und Kriegen. Dies jedoch ist nicht im Sinne dessen, was Gott für seine Geschöpfe wünscht.

Gott hat Verständnis für seine Geschöpfe und er wünscht sich, dass sie Verständnis füreinander und für ihn haben. Gottes Wirken in der Welt geschieht im Wesentlichen durch den Geist. Die biblischen Wörter ruach oder pneuma haben eine größere Bedeutungsfülle. Sie meinen nicht nur Geist, sondern vor allem Wind, Atem oder Hauch. Wo Gott die Welt anstürmt, anbraust, anhaucht, begeistert, da durchweht er unser Leben und unsere Geschichte. Und Gottes Geist ist ein Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. (2 Tim1,7)

 

So empfängt Jesus bei seiner Taufe den göttlichen Geist, er wird vom Geist erfüllt und diese Geisterfahrung begründet sein Gottesverhältnis: Er darf Gott als Vater ansprechen und weiß sich als Sohn Gottes geborgen. In der Kraft des Geistes heilt Jesus Kranke, treibt Dämonen aus, nimmt Sünderinnen und Sünder an und verkündet den Armen das Reich Gottes. Er behält den Geist nicht für sich, sondern handelt in der göttlichen Lebenskraft damit die Menschen heil sein können.

 

Und Jesus verheißt den göttlichen Geist auch denen, die ihm nachfolgen. Nach dem Bericht des Johannesevangeliums hält Jesus am Abend vor seinem Tod bei dem gemeinsamen Mahl Abschiedsreden, in denen er den „Geist der Wahrheit“ als Trostbringer ankündigt. (Joh 14) Jesus lässt die, die ihm nachfolgen, nicht verwaist zurück, sondern sie bleiben durch den Geist im Kontakt zu Gott. Sie erfahren den Geist Gottes zugleich als den Geist Christi.

Dies lässt sich schön beobachten in der Rezeption des Psalmwortes „In deine Hände befehle ich meinen Geist.“ (Ps. 31, 6a) im Neuen Testament. Der Betende gibt Gott den Geist zurück. Mit diesen Worten auf den Lippen stirbt Jesus nach dem Bericht des Lukasevangeliums. (Lk 23,46) Doch das Psalmwort erfährt im Munde Jesu eine Erweiterung. In seiner Geistrückgabe benennt er Gott als Vater: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Und auch der erste Märtyrer, Stephanus greift diese Worte bei seiner Steinigung auf. Doch er spricht nun Christus an, wenn er seinen Geist übergibt: „Herr Jesus, nimm meinen Geist!“ (Apg 7,59). Dies Wort begleitet uns auch im Responsorium der Komplet, dem Nachtgebet der Kirche.

An Pfingsten steht die Aussendung des Heiligen Geistes im Mittelpunkt. Im Pfingstbericht der Apostelgeschichte wird von dem Brausen berichtet, von dem Wind, mit dem der Geist in die Versammlung fährt und der sich in Zungen wie von Feuer über den versammelten zeigte. (Apg 2) Nicht nur, dass die Geisterfüllten in anderen Sprachen reden konnten –  die Menschen, die Zeugen dieses Ereignisses wurden, konnten die Geisterfüllten in ihren eigenen Muttersprachen von den großen Taten Gottes reden hören. Gottes Geist schafft neues Verstehen für Menschen unterschiedlicher Sprachen und aus unterschiedlichen Völkern.

Aus den unterschiedlichen Sprachen und Völkern schafft Gott sich sein Volk, sein heiliges Volk aus Menschen des bereits bestehenden Bunds und aus Menschen der Völker. Die Verständigung gelingt, ohne dass eine Einheitskultur oder Leitsprache durchgesetzt werden müsste. Die Vielfalt aus Sprachen, Völkern und Kulturen bleibt bestehen und doch wird in der Kraft des Geistes eine neue Gemeinschaft gestiftet. Der Geist der Wahrheit und der Versöhnung verbindet die Menschen und haucht ihnen neue Lebenskraft ein.

Die Pfingstgeschichte ist die göttliche Antwort auf den Turmbau zu Babel. Die Vielfalt der Völker und Sprachen bleibt bestehen und wird doch im wechselseitigen Verstehen überwunden.

Auch das Starlink-Projekt soll, so sagt schon sein Name, die Menschen verbinden. Es soll alle Menschen an der weltumspannenden Kommunikations- und Informationsfülle des Internet teilhaben lassen. Dies mag das Leben vieler Menschen verbessern, es mag Menschen dazu bewegen, Neues zu wagen. Letztlich bleibt es ein Kommunikationsmittel. Und wenn Gott durch seinen Geist in unserem Leben und in der Geschichte wirkt, so können wir gespannt sein, wie Gott sich auch dieses Mittels bedienen wird.

Uns ist geboten, wieder und wieder um die Sendung des Heiligen Geistes zu bitten. Denn er ist unverfügbar und weht, wo er will. So stimmen wir ein in den Pfingsthymnus:

 

1) Komm, Heil’ger Geist, der Leben schafft,
erfülle uns mit deiner Kraft.
Dein Schöpferwort rief uns zum Sein:
Nun hauch uns Gottes Odem ein.

2) Komm, Tröster, der die Herzen lenkt,
du Beistand, den der Vater schenkt;
aus dir strömt Leben, Licht und Glut,
du gibst uns Schwachen Kraft und Mut.

3) Dich sendet Gottes Allmacht aus
in Feuer und in Sturmes Braus;
du öffnest uns den stummen Mund
und machst der Welt die Wahrheit kund.

4) Entflamme Sinne und Gemüt,
dass Liebe unser Herz durchglüht
und unser schwaches Fleisch und Blut
in deiner Kraft das Gute tut.

5) Die Macht des Bösen banne weit,
schenk deinen Frieden allezeit.
Erhalte uns auf rechter Bahn,
dass Unheil uns nicht schaden kann.

6) Lass gläubig uns den Vater sehn,
sein Ebenbild, den Sohn, verstehn
und dir vertraun, der uns durchdringt
und uns das Leben Gottes bringt.

7) Den Vater auf dem ewgen Thron
und seinen auferstandnen Sohn,
dich, Odem Gottes, Heilger Geist,
auf ewig Erd und Himmel preist.

Der Pfingsthymnus De Spiritu Sancto stammt aus dem 9. Jahrhundert und geht textlich auf Rhabanus Maurus zurück. Deutsche Übertragung von Friedrich Dörr (1908-1993).

Pfr. Dr. Mario Fischer, Wien
Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa

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Bildnachweis:
1) https://www.wetteronline.de/astronews/starlink-satelliten-in-formation-perlenschnuere-am-nachthimmel-2020-04-23-sl
2) Foto: Albrecht Arnold / Kirchenfenster von Helmuth Uhrig in Hochwang https://www.evangelischer-pfarrbereich-wallendorf.de/taufe/
3) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pieter_Bruegel_the_Elder_-_The_Tower_of_Babel_(Vienna)_-_Google_Art_Project_-_edited.jpg
4) http://www.sistersofmercy.org/blog/2019/06/08/imaginate-pentecostes-moderno/

 

 

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