Predigt am 13. Sonntag nach Trinitatis

Predigt über 1. Mose 4,1-16a

Liebe Gemeinde!

Der heutige 13. Sonntag nach Trinitatis hat die Nächstenliebe zum Thema. Der Wochenspruch redet davon, das Wochenlied genauso, auch die Epistel und das Evangelium. Aber der Predigttext redet von Mord und Totschlag. Bei dem uns heute vorgegebenen Predigttext aus 1 Mose 4: „Kains Brudermord“ habe ich mich schon immer gefragt: Warum sieht Gott das Opfer von Kain gnädig an, das von seinem Bruder Abel aber nicht? Kein Wort steht dazu in 1. Mose 4.

Wir müssen mit Eva beginnen. „Eva“ bedeutet: die „Lebensspenderin“. Sie bringt einen Sohn zur Welt und sie jubelt und frohlockt darüber! In Genesis 4, Vers 1 heißt es: „Mithilfe des HERRN habe ich einen Sohn bekommen.“ Eva gibt ihrem erstgeborenen Sohn den Namen KAIN, das kann man übersetzen: „Der Gewonnene“ oder „der Erworbene“.

Danach wird sie wieder schwanger und bringt einen weiteren Sohn zur Welt. ABEL nennt sie ihn. Aber jetzt ertönt kein Jubelruf, es folgt nur der lapidare Satz: „Danach brachte sie seinen Bruder Abel zur Welt.“

Den Namen „Abel“ kann es kaum übersetzen, man kann es eigentlich nur vormachen, sozusagen „vorpusten“: Pfh. Abel heißt Hauch, Wind, Nichts. Wir könnten auch sagen: Nichtsnutz. Mir hat einmal jemand gesagt und dabei auf seinen etwas zurückgebliebenen 4-jährigen Enkel gezeigt: „Der hätte eigentlich gar nicht mehr geboren werden sollen.“

Das ist Abel, der Nichtsnutz, der eigentlich gar nicht hätte geboren werden sollen!

Kain, der Erstgeborene, ein richtiger Mann also und neben ihm sein Bruder, eine Luftnummer. So wächst Kain auf. Ein herrliches Gefühl, immer im Mittelpunkt zu sein! So kann die Welt weitergehen. Kain ist so in diese Welt hineingeboren: da gibt es ein Oben und ein Unten.

Auch wir sind so in die Welt hineingeboren mit einem Oben und Unten, mit dem Nord-Südgefälle und mit einem der besten Gesundheitssysteme auf der Welt. In Afrika sind zur Zeit 2 Prozent der Bevölkerung gegen Corona geimpft – der Impfstoff ist da knapp. Und wir richten uns auf die Auffrischungsimpfung ein.

Wie gut, denkt Kain, ich bin oben, auf der Sonnenseite. Aber wer denkt an Abel?

Dabei könnten beide Brüder Zukunft haben. Kain wird ein Ackermann, Abel wird Hirte. Bodenständige Bauern und herumziehende Nomaden – warum sollten sie nicht nebeneinander leben können? Zwei Kulturen – beide sind etwas, beide haben etwas, haben genug, sich zu ernähren und Gott Dankopfer zu bringen. Kain bringt von den Früchten seines Feldes – logisch – und Abel die Erstgeburten seiner Herde. Beide können gut leben. Aber der 2. Sohn ist mit seinem Namen gezeichnet. Wer ihn bei seinem Namen nennt, sagt gleichzeitig: Du bist eine Null, Abel, du bist ein Nichts!

Es gibt in unserer Geschichte nur einen, der Abel ansieht: „Der HERR schaute wohlwollend auf Abel und sein Opfer. Doch Kain und sein Oper schaute er nicht wohlwollend an.“

Gott ergreift also Partei. Gott versucht, die verhängnisvolle Geschichte im Leben des Kain zu beenden und ihm die Menschenwürde zu geben, die ihm bisher von Geburt an versagt war. Gott engagiert sich für die Gedemütigten, für die Elenden und Vergessenen. Das können wir überall in der Bibel lesen – ganz besonders deutlich wird uns das heute im Wochenspruch aus Mt 25 gesagt: Jesus identifiziert sich praktisch mit den Hungrigen, den Durstigen, mit den Fremden, mit den Nackten, den Kranken, den Gefangenen: „Was ihr für einen meiner Brüder oder für eine meiner Schwestern getan habt – und wenn sie noch so unbedeutend sind – das habt ihr mir getan“  so die Übersetzung der Basis-Bibel.

Gott sieht auf Abel – aber dabei verliert er Kain nicht aus den Augen! Als die Lage bedrohlich wird, fängt Gott sofort an, mit Kain zu reden: „Warum ergrimmst du, Kain, und senkst deinen Blick?“

Die Rechnung von Kain war nicht aufgegangen. Was hilft ihm das ganze Opfern, wenn er Gott nicht auf seine Seite ziehen kann? Und überhaupt: Wie kommt Gott eigentlich dazu, die gegebene Ordnung von Oben und Unten einfach auf den Kopf zu stellen? Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben fühlt sich Kain übergangen.

Kain ist zwar verbohrt, aber noch kann alles gut gehen. Denn Gott redet ja mit ihm und macht ihn auf Gefahrenstellen aufmerksam. Er fragt: „Warum ergrimmst du und senkst deinen Blick?“ Mit anderen Worten: Kain, pass auf dich auf! – Aber Kain gibt keine Antwort.

Liebe Gemeinde!

Nach der Namensgebung für den 2. Sohn (Abel) ist hier der 2. Bruch in der Geschichte. Gott bekommt keine Antwort. Kain redet nicht mit Gott. Er klagt nicht: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Er ist mit Gott fertig. Es ist für ihn unerträglich mitzuerleben, dass ausgerechnet sein Bruder, dieser Abel, bei Gott Geltung haben soll. Darum sagt er jetzt zu Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Eine raffinierte Einladung – als ginge es darum, dass Kain ihm erlauben würde, sich einmal seinen Arbeitsbereich anzuschauen. Und dann geschieht das Entsetzliche: Kains schlägt seinen Bruder Abel tot.

Dieser erste Brudermord in der Geschichte könnte mich eigentlich kalt lassen. Wen interessiert das schon, was sich vor ein paar tausend Jahren abgespielt hat. Aber die Urgeschichte der Bibel wird so erzählt, als sei sie Gegenwart und nicht Vergangenheit! Die Erzählung soll deutlich machen: Der Mensch, der nicht auf Gottes Liebe antwortet, verliert sich und wird schlimmstenfalls zum Unmenschen. Ich kann mich ganz von Gott abwenden – und dennoch werde ich nicht sofort von der Erde getilgt. Der Mörder Kain bleibt am Leben – so wie heute die Menschen, die furchtbare Waffen erfinden oder einsetzten, am Leben bleiben. Die besten Köpfe werden heute in die Militärtechnik eingesetzt und nicht in die Friedensforschung. Wann wird Kain, du Ackerbauer, wann werden wir endlich unsere Schwerter in Pflugscharen umschmieden?

Abel ist tot. Sein Blut schreit zum Himmel. Immer noch kann es gut werden mit Kain. Denn Gott redet ja mit ihm, nun zum 2. Male. Er gibt ihn noch immer nicht verloren. Er fragt ihn: „Wo ist dein Bruder Abel?“. Noch kann Kain seinen Fehler und seine Schuld zugeben und bekennen. Doch dieser bisher vom Leben so verwöhnte Mann antwortet Gott mit einem frechen Witz:  Ich weiß nicht, sagt er, „soll ich der Hüter eines Hirten sein?“

Das ist Kain: Mit Gott ist er fertig. Die Frage nach Gott und der Verantwortung für seinen Nächsten hat er hinter sich gelassen. Schuldfragen werden einfach beiseite gefegt. Kain ist mit Gott fertig, aber Gott mit ihm noch lange nicht. Kain muss nicht sterben, aber er bekommt eine Strafe auferlegt: „Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden“ – übersetz Luther und in der Basis-Bibel heißt es: „Du wirst ein heimatloser Flüchtling sein und von Ort zu Ort ziehen.“

Jetzt endlich beginnt Kain, mit Gott zu reden. Er redet nicht von Abel und von seiner Schuld. Er redet davon, dass er unter dieser Strafe zusammenbrechen wird: „Die Strafe ist zu schwer für mich…“. Kain hat seinen Bruder erschlagen und nun … bedauert er sich selbst. „So wird mir’ s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet“. So sieht Kain seine Zukunft.

Liebe Gemeinde,

ich hätte am liebsten diese Geschichte umgeschrieben. Ich möchte sie anders erzählen, als sie in der Bibel steht. Am liebsten würde ich die Geschichte so erzählen, dass Kain sich mit seinem Bruder Abel freut und Abel am Leben bleibt. Ich möchte gerne erzählen können von einer Welt, in der sich die reichen Völker freuen, wenn Hungernde am Leben bleiben. Ich möchte erzählen können von einer Welt, in der es mehr Samariter gibt als Priester und Leviten. Ich sehne mich nach einer Welt, in der es den reichen Ländern nicht um ihren eigenen Profit geht, wenn sie vorgeben, die Demokratie zu den Armen zu bringen. Wann werden wir verstehen? Wann werden wir begreifen, dass niemand wegsehen kann, wenn er oder sie Not und Leid, Hunger und Hass gibt auf der Welt?

Und: Wann werden wir verstehen, dass Gott gnädig ist?

Kain lebt noch. Gott „machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge“. Wie denn: Stand Gott nicht auf Abels Seite? Doch, schon. Aber er steht auch auf der Seite Kains.

Lesen: 1. Mose 4,16a

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Pfarrer Traugott Schuller, EMB / Rhein.-Westf. Konvent

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